„House of the Dragon“: Für Fantasy-Fans bedeuten die neuen Folgen einen Charaktertest - WELT (2024)

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Als meine erste Tochter gerade auf der Welt war, konnte ich sie einfach nicht allein lassen. Zu groß war die Sorge vor – naja, irgendetwas eben – und so verbrachte ich ganze Nächte an ihrer Seite, beziehungsweise sie an meiner.

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An eine dieser Nächte kann ich mich noch besonders gut erinnern: Helene lag in einem dieser hufeisenförmigen Kissen, schlummerte, und ich sah in unserem Kinozimmer (heute: ihrem Kinderzimmer) die gesamte dritte Staffel von „Game of Thrones“ in einem durch, mit einem Auge die zehn Folgen sehend, mit dem anderen das Mädchen bewachend. Ich schlief nicht ein. Die Kombination aus Sorge und Sensation war perfekt.

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Was war damals – auf dem Bildschirm – nicht alles los! Die Handlung wechselte zwischen Kontinenten und Fürstenhäusern, vom eiskalten, kryptoschottischen Norden, jenseits dessen der vieljährige Winter aufzog in das afrikanisch-asiatische Essos, die dramatis personae umfassten Sklavende (kleiner Gender-Scherz), einen kleinwüchsigen Schlaumeier, eine Hyper-Blondine samt dem ihr verfallenen weißen alten Mann, ein bösartiges Königskind, Zombies, Pyramiden, Dubrovnik. You name it. Die Welt von „Game of Thrones“ war derart überladen, dass man der Handlung gar nicht mehr folgen wollte, weil alles so wunderbar bunt war.

Und alles war plötzlich ganz anders

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Vor zwei Jahren – die Hauptserie war unrühmlich geendet – gab es mit „House of the Dragon“ ein Prequel, acht Folgen, und alles war ganz anders. Bei aller Liebe: Ich wäre bei gleicher Versuchsanordnung schneller eingeschlafen als meine Tochter. Nicht (zumindest nicht nur) vor Langeweile, sondern vor allem, weil man ja nachts um drei Uhr nicht unbedingt mehr so superfit ist, um alle Familienzwiste und -Ränke, um allen Familien-Missverständnissen und -Augenherausschlägereien und allen Rachedingen richtig folgen zu können.

Trailer von "House of the Dragon"

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„House of the Dragon“ war keine leichte Kost. Alle hießen Aegon oder Aegynon oder Aegnonyn oder Daranyia oder Daranyis oder Daranatis oder so ähnlich, viele hatten blonde Haare und schwarze Haut, andere blonde Haare und weiße Haut und sie gehörten alle zu einer Familie, im weitesten Sinn: Den Targaryen.

Der Sippe, die uns in der Hauptserie die Hautperson (okay, eine der eine halbes Dutzend Hauptpersonen) schenkte: Daenerys aus dem Hause Targaryen, die Erste ihres Namens, Königin der Drachenbucht, Königin von Meereen, Königin der Andalen, der Ersten Menschen und der Rhoynar, Regentin der Sieben Königslande, Beschützerin des Reiches, Mutter der Drachen, Sprengerin der Ketten, Khaleesi und Herrscherin des großen Grasmeeres, Khaleesi und Herrscherin des Dothrakischen Meeres. Aber eben auch: Lady von Drachenstein und Lady von Casterlystein.

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So, spätestens jetzt sind wir also unter uns.

Gut erzählt, kaum verständlich

Vier Folgen der neuen Staffel durfte ich vorab sehen, die waren wahnsinnig langweilig und wirklich irre gut, sie spielten ausschließlich in düsteren, klammen Ruinen, aber auch in Kulissen, die so gut und prächtig gestaltet waren, dass die Pappmachéfelsen von Disneys Superserie „The Acolyte“ vor Scham zerschmelzen würden; sie ist ausgezeichnet gut erzählt und doch kaum verständlich.

Sie kommt irre schnell auf den Punkt und dann ist sie doch wieder nur Vorspiel zum „Tanz der Drachen“, auf dessen ersten Vorgeschmack man bis Folge vier (und die Episoden sind oft mehr als 60 Minuten lang) warten muss. Man erkennt alle Charaktere wieder und weiß doch nicht mehr so genau, wer wer war und was er warum wollte. Meine Güte, zwei Jahre sind auch eine irre lange Zeit, war damals nicht noch das mit Corona oder wie das hieß?

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Ganz grob: Der gute König brabbelt auf dem Sterbebett irgendetwas vor sich hin und seine baldige Witwe einerseits und die Tochter andererseits deuten das unterschiedlich, was die Thronfolge betrifft. Daraufhin gibt es zwei Königshäuser, die „Grünen“ und die „Schwarzen“, es fließt viel Blut, trotzdem wird lange versucht, ob da nicht doch eine schwarzgrüne Koalition möglich wäre. Ist sie nicht, aber das kennen wir ja schon von Friedrich Merz.

Wie rezensiert man so was nun? Oder besser: Wie rezensiert man etwas, was man nicht erklären kann (weil es zu kompliziert für ein paar Artikelzeilen ist) und auch nicht darf (weil Spoiler ja verboten sind)? Vor allem auch für WELT-Leser, die sich schon durchaus, aber jetzt auch nicht so irre für diese Sache interessieren? Vielleicht so:

Ist die zweite Staffel von „House of the Dragon“ etwas für Sie …

wenn Sie „Succession“ mochten?

Grundsätzlich ja. Sie sind im Stoff, denn Sie mögen Nachfolgeregelungstragödien in globalen Unternehmen. Sie verfolgen gerne ruppigen Umgang unter verfeindeten Geschwistern und ihren Lakaien. Intrigen sind Ihr Ding. Sie können es nicht erwarten, dass der Alte endlich stirbt, damit es richtig zur Sache geht.

Aber bitte nicht unterschätzen: Statt Maßanzügen tragen die Yuppies in „House of the Dragon“ Klamotten vom Mittelaltermarkt, statt in Hubschrauber steigen sie auf Drachen, und ihre Häuser sind echte Depri-Schuppen. Damit muss man zurechtkommen.

… wenn Sie Godzilla-Filme mögen?

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Die Drachen! Das ist doch was für Sie! In der ersten Staffel waren die Lochlederflügler nur sporadisch zu sehen, jetzt gibt’s kaum eine Außenaufnahme ohne einen Drachen, der orakelhaft seine Runden am blauen Himmel zieht. Hört sich gut an, es gibt halt nach wie vor nur wenige Außenaufnahmen. Die Tiere selbst sind echte Godzilla meets Ray-Harryhausen-Prunkstücke. Diese seltsame grobkörnig-kantige von Gojira inspirierte, furunkelhafte Saurierhaut ist altbekannt. Natürlich auch die Schreie, die sind praktisch identisch. Auch die ersten Monster-vs.-Monster-Kämpfe sind godzillafankompatibel. Scharfe Krallen, spitze Zähne. Wir wissen ja, wo das hinführt.

Downside: Es spielen zwischen den Drachenkämpfen echt viele Menschen mit und die haben viel, unheimlich viel zu sagen! Sie sprechen eigentlich die ganze Zeit! Und das lenkt schon ziemlich ab!

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Das erste Mal im „House of the Dragon“

… wenn Sie Shakespeare spitze finden?

Herzlich willkommen! Düstere Rittersäle, in denen Könige kompliziert ihr eigenes Schicksal und das der Welt verhandeln! Endlose Monologe ohne störende Handlung! Dazu (im Original) ein Englisch, wie es englischer kaum geht. Außer im Norden, da sprechen sei Macbethisch. Ay?

Leider: Die Leute sind alle ausgedacht, erfunden, Hirngespinste! Nein, nein: kein historischer Hintergrund.

… wenn Sie „Conan, der Barbar“ lieben?

„House of the Dragon“, diese ganze George R. R. Martin-High-Fantasy ist leider etwas unterkomplex für Sie. Besser als Conan kann man das Wesen der Welt und ihrer Götter eh nicht zusammenfassen: „Crom ist es egal, ob man betet.“ Metaphysik auf den Punkt gebracht! Ach, Crom!

… wenn Sie auf Gewaltfilme mit Sexszenen stehen?

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Lassen Sie sich nicht von dem hinters Licht führen, was da jetzt alles geschrieben wird. Die zweite Staffel ist nicht „brutaler“ oder „schonungsloser“, keinesfalls „blutiger“ oder „gewalttätiger“ als irgendeine andere Serienfolge aus dem „Game of Thrones“-Universum. Das gilt auch für den Sex. In jeder Folge gibt es genau eine kalkulierte Szene, in der man – wenn man sehr gut aufpasst – eine Brust sieht. Oder auch einen Holzstab, den eine Frau im Mund hat. Höhö. Und pro Folge wird einmal enthauptet. Mehr aber auch nicht. Wenn Sie wirklich mehr wollen in dieser Beziehung: Tinto Brass’ „Caligula“ erscheint demnächst restauriert. Alternativ: Es geht auch alles mit Laura Gemser.

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Zur Hälfte großartig, zu einem Drittel voll daneben

… wenn Ihnen die „Unendliche Geschichte“ mit Atréju und der Kindlichen Kaiserin so gut gefallen hat?

Nein! Absolut nein! Nutzen Sie die Zeit und füttern, statt diese Serie zu sehen, lieber Ihre Katzen. Das dauert ja auch, bei den vielen kleinen Rackern.

… wenn Sie „Excalibur“ von John Boorman für den besten Fantasy-Film aller Zeiten halten?

Moment! Ernstes Wort: „Excalibur“ ist ein großartiger, leider unterschätzter Film, aber es ist kein Fantasy-Film! Fantasy = Fantasie. Also Zwerge, Drachen, Hobbits, dieses ganze Gesindel. „Excalibur“ ist ein Ritterfilm, er beruht auf einer Sage, einer Legende. Nicht verwechseln!

Aber „House of the Dragon“ könnte Ihnen sehr, sehr gut gefallen. Es gibt jede Menge Ritter und dreckige Städte, in denen Rattenfänger am Galgen baumeln und am Ende ist das „Game of Thrones“-Universum ohnehin eine Art historisches England auf magic mushrooms.

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… wenn Sie Fan von Michael Moorco*ck sind?

Warum nicht Elric? Warum nur? Warum nicht einfach mal Elric von Melnieboné? Alles an Elric ist besser als alles, was Martin je geschrieben oder gedacht hat. Und das gilt für alle anderen Moorco*ck-Geschichten. Dorian Hawkmoon! Das wären mal eine Serie! Traut sich keiner! Typisch! Oder doch?

… wenn Sie „Dune“ in der Villeneuve-Version total gut finden?

Einfach mal ausprobieren! Warum nicht? Ein bisschen gepflegte Langweile mit schönen Kameraeinstellungen finden Sie ja gut und außerdem gibt’s drei, vier Schauspieler, die wie Timothée Chalamet zur neuen Kategorie des hot rodent man gehören. Was ist das nun wieder? Spitznasige Lockenköpfe, blass, die immer so scheu zu Seite gucken wie die Ratte, die ich heute Morgen in Berlin-Lankwitz gesehen habe. Aber doch ganz niedlich sind.

… wenn Sie Fan von „Herr der Ringe“ sind?

Stopp! Das ist gar nicht so einfach, da müssen wir differenzieren! Also:

Ist die zweite Staffel von „House of the Dragons“ etwas für Sie als „Herr der Ringe“-Fan …

… wenn Sie die Bücher verschlingen?

Auf jeden Fall! Nichts ist so langweilig wie die meisten Kapitel von „Die zwei Türme“, in denen seitenlang beschrieben wird, wie Legolas, Aragorn und Gimli durch die Gegend rennen. Die langen Dialoge in „House of the Dragons“ machen Ihnen also nichts aus. Sie haben auch kein Problem damit, gefühlte 8000 Seiten zu lesen, bevor zum ersten Mal etwas passiert („Gandalf blies einen perfekten Rauch-Ring aus seiner Pfeife“).

Sie dürfen es leider nur nicht zugeben, weil im Sommer ja auch noch die zweite „Ringe der Macht“-Staffel startet. Ach, die hassen Sie eh? Na, dann!

… wenn Sie Peter Jacksons Verfilmungen toll fanden?

Keine Hobbits, keine Elfen, keine Orks. Dafür so ein bisschen Gewalt und ein paar Szenen in einem Bordell. Schwierig. Vielleicht doch lieber noch mal den Director’s Cut von „Die Gefährten“ ansehen? Sicher ist sicher!

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„Die Ringe der Macht“

Alles andere ist Koranschule

… wenn Sie das „Silmarillion“ durchgelesen haben?

Dann ist „House of the Dragon“ absolut ihr Ding! Sie wissen, wie alles am Ende ausgeht, wollen aber erfahren, was vorher gelaufen ist. Sie finden Handlung eh überbewertet und haben auch im Alten Testament am liebsten die Teile gelesen, in denen es heißt: Simon zeugte Ben. Ben zeugte Ismael. Ismael zeugte Habakuk. Habakuk zeugte Jakob ... und so weiter! Sie schreiben den Autoren (oder deren Urenkeln) wütende Briefe, wenn Sie meinen, einen Fehler entdeckt zu haben! Sie haben weiter oben schon nicht verstanden, warum es so seltsam sein soll, dass alle quasi die gleichen Namen haben! Wenn Sie und „HotD2“ bei Tinder wären – das würde bruzzeln!

… und wenn Sie einfach nur „Game of Thrones“ vermissen?

Dann bleibt Ihnen doch ohnehin keine andere Wahl!

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Job: Corporate Healthcare Strategist

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